Alligatoah - In Gottes Namen
Zitat
"Rappers.in war auf jeden Fall ein krasser Schritt für mich, weil ich zum ersten Mal eine physische, kaufbare CD veröffentlicht habe. Die zu kaufen, war zwar auch nur im Internet bestellbar, aber immerhin anfassbar (...) Deswegen war das ein krasser Schritt nach vorne, gar nichtmal jetzt, weil ich jetzt auf einmal ein bisschen Geld verdient habe mit der Musik, sondern weil ich in ein ganz anderes Level aufgestiegen bin, ein Level, wo man gleich viel ernster genommen wird."*
"In Gottes Namen". Das zweite Studioalbum Alligatoahs, einhergehend mit dem ersten Liveauftritt Alligatoahs in Moers, stellt die Rappers.in-Schaffenszeit eine Epoche des Alligatoahwerkes dar, die in vielerlei Hinsicht wegweisend für seine spätere Karriere war. Alligatoah konnte sich als Zugpferd einer aufstrebenden Internetpräsenz beweisen, die sich nur so kurz als Independentlabel versuchte, wie Alligatoah eben seine Treue zu dieser hielt. Rappers.in als Label stand und fiel mit Alligatoah, welcher sich in dieser Zeit der frisch erlangten Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit professionalisieren und den Wegweiser für eine große Internetfanschaft pflanzen konnte. Beachtlich: "In Gottes Namen" ist die konsequente Weiterführung, in mancher Hinsicht Vollendung des initialen Alligatoah-Stils. Huldigung und Abschluss seines Frühwerkes zugleich und bis heute eines der rotfädigsten Deutschrapalben aller Zeiten.
Auch wenn Alligatoah immer wieder auf sein Terroristenimage in späteren Werken zurückgriff, kann man "In Gottes Namen" als Abschluss seiner Terroristenepoche betrachten. Nicht zuletzt, lässt Alligatoah seinen Alter Ego Kaliba 69 am Ende des Werkes sterben, DJ Deagle schickte er schon ein Werk zuvor in "Goldfieber" in die ewigen Jagdgründe. Der rote Faden, der schon "ATTNTAAT" durchzog, wird hier noch in leuchtenderes Rot getunkt und stellt die zentrale Herausforderung des zweiten Albums dar. Auch wenn Alligatoah nicht ganz gelingt, ein komplett erzählerisch-stringentes Werk zu erzählen, ist dessen Kohärenz doch beachtlich. Ein paar Ausflüchte in unterroristische Schauspielgefilde ("Raubkopierah", "Reallife 1.6" (feat. Prayamond)")" und das sträftliche Nichtnutzen des narrativen Potenzials der obligatorischen Minitracktrilogie ("Ich Kann Am Besten"), verfolgen wir den tollpatschigen Terroristen Kaliba 69 immer an seiner vokalischen Schulter klebend, erleben ihn in der Rechtfertigung seiner Ideologie ("In Gottes Namen" etc.), in Auslebung seiner Identifikationsprobleme ("Der einzig(st)e Terrorist Im Dorf") oder blicken sogar zurück in seine biografischen Hintergründe ("Teufelskreis"). Die Figur Kaliba 69 bleibt dabei immer auf eine recht simple Botschaft von "In Gottes Namen" abzielend charakterisiert: Fundamentalismus ist böse und wahrlich lächerlich.
Intentional stellt das Album also bei weitem keine völlig ausdifferenzierte Betrachtung des Terrorismus' im Bezug auf Religionen dar, konnte man das aber von einem soeben 18-jährigen erwarten? Sowieso nicht. "In Gottes Namen" ist zwar in seiner Aussage recht simpel, betrachtet die Problematik aber auf unzählige humorvolle Perspektiven und — beachtlicherweise stellt das Album fundamentalistische Religion ansich an den Pranger. Nie erwähnt Alligatoah, dass eine bestimmte Religion, etwa der Islam schuld seien. Auch wenn er mit Motiven des Islams spielt, verkommt die Aussage nie zur Anti-Islamismus-Plattitüde. Und DAS ist eine fantastische Leistung, die dann mit dem vielleicht besten Track "Mein Gott Hat Den Längsten" nochmal unterstrichen wird. Dieser zeigt: Fundamentalismus ist schuld, unabhängig von der Konfession. Und auch, wenn in diesem Track mehr als deutlich wird, welche drei Religionen dort genau durch den Kakao gezogen werden: Namen der jeweiligen Religionen werden dennoch nicht genannt. Elegant, elegant. Auch kann man gar die Form der antiken Tragödie auf das Werk beziehen, auch wenn Exposition und steigende Handlung den Großteil des Albums ausmachen und Höhepunkt, retardierendes Moment und Katastrophe in die letzten drei Tracks gepresst wurde. Hier wäre vielleicht weniger mehr gewesen, denn im Nachhinein schwimmen die Tracks, die sich thematisch dem Grundkonzept nicht anpassen können, ein wenig teilnahmslos am roten Faden vorbei.
Was dem Album zudem ein bisschen abgeht, ist der Wiederhörwert. Den Pointen und Narrationen werden zu oft Hooks geopfert, ab und an treten auch wirklich — für heutige Alligatoahverhältnisse — beschämende Features auf, die den Autor dieser Zeilen damals sogar dazu veranlassten, sich bei Alligatoah persönlich bei ICQ zu beschweren, warum Alligatoah nicht auf Rapper aus der hauseigenen Alligatoahforumaudiozone zurückgriff und stattdessen diese Künstler auf das zweite Album ließ, die qualitativ stark vom Albumhausherren abfallen. So ist "In Gottes Namen" insgesamt eine konsequente Umsetzung einer Fundametalismusabrechnung, die gekonnt sich auftuenden Fettnäpfchen ausweicht, aber hier und da mit edlen Hooks und besseren Features ein noch größeres Meisterwerk hätte werden können.
*Aus "Namen Machen - Generation Der Internetrapper (Niklas Pollmann)"
Ein nervenzermaterndes Voting nimmt ein Ende. Wie zu erwarten war ohne Außenseitersieg. Und doch ist der Punkte-Count, den der Sieger-Track erreichte von unfassbarer Höhe.
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