Musik ist keine Lösung lautet der Titel des neuen Albums von Alligatoah. Wer das Trailerpark-Mitglied und Deutschraps einzig echten Singer-Songwriter kennt, der weiß, dass man nicht jede seiner Äußerungen für voll nehmen sollte. Denn natürlich hat Alligatoah auch auf dem Nachfolger von Triebwerke wieder Musik gemacht—mit abseitigen Instrumenten und sonderbaren Naturgeräuschen. Ein Gespräch über das Finden von Sounds im Freien, Respekt gegenüber Musikinstrumenten und Menschen, die sie spielen können, die Recherche für die Themen seiner Lieder und Ghostwriting-Aufträge.
Noisey: In zwei, mit „Schöpfungsgeschichte“ betitelten, Videos sieht man dich in einem Häuschen im Wald an deinem neuen Album Musik ist keine Lösung arbeiten. Du probierst Instrumente aus, scharwenzelst aber auch durch die umliegenden Wälder und nimmst Geräusche auf. Ist das wirklich passiert oder eher eine Hopsname von überambitioniertem Muckertum?
Alligatoah: (grinst) Man ist bei mir ja fast schon darauf konditioniert, dass irgendwann der Bruch kommt und das Ganze in einer Parodie mündet. Aber das ist bei der „Schöpfungsgeschichte“ nicht passiert. Ich habe damit etwas für meine Verhältnisse eher ungewöhnliches gemacht und mir bei der wirklichen Arbeit, so wie sie passiert ist, über die Schulter gucken lassen. Das mache ich sonst ja nicht. Es gibt keine Making-of's, Studioblogs oder Tourberichte im klassischen Sinne von mir. Aber die Arbeiten am Album waren so besonders und ungewöhnlich, das ich gedacht habe: Man kann viel besser einordnen, was das Album ist, wenn man diesen Einblick bekommt. Zumal ich diesen Einblick ja immer noch kontrollieren konnte. Ich habe das sehr bewusst ruhig und entspannt gehalten und wollte die Menschen mit diesen Videos gerne auf ein anderes Tempo einstimmen als man es vielleicht von den rasanten Schnittbildern und Go-Pro-Schwenks bei Trailerpark gewöhnt ist. Ich glaube, es hat aber auch unabhängig davon sehr gut funktioniert und ich hatte fast den Eindruck, dass die Leute dankbar waren, in dieser schnellen Welt mal wieder ein paar ruhigere Aufnahmen zu sehen.
Warum lässt du dir nicht gerne über die Schulter schauen?
Das ist für mich ein Ansatz, den ich mit diesem Projekt Alligatoah immer verfolgt habe. Ich will das Schauspiel für sich stehen lassen und vielleicht eher Debatten darüber anstoßen, was das Video mit den Leuten macht. So wie ich es ohnehin mit allem tue, was ich mache.
Also sind die Aufnahmen am Album so abgelaufen wie man es im Video sieht, ja?
Genau. Ich habe mir in dieser Hütte im Umland von Berlin mein erstes richtiges Studio eingerichtet. Ich habe zwar nicht die gesamten neun Monate der Albumaufnahmen dort verbracht, schließlich war ich ja auch auf Tour und dergleichen, aber ich konnte mich immer wieder in diese Ruhe und den Wald flüchten. Dort habe ich mich auf die Wiese gelegt und ein paar Ideen beim Vorbeifliegen beobachtet. Die habe ich mir dann geschnappt und bin mit ihnen zum Haus gegangen, wo ich sie zubereitet habe.
Warst du alleine dort?
Auch wenn das Video nicht unbedingt den Eindruck erweckt: Ich bin ein geselliger Mensch und habe gerne andere Menschen um mich, die mich auch sehr oft dort besucht haben. Aber wenn es zu dem kommt, was ich mache—also meiner Musik und meiner Kunst—dann bin ich am liebsten alleine. Denn das Schaffen von Sachen ist für mich immer ein Gespräch mit mir selbst und ich kann am besten mit mir selbst reden, wenn kein anderer dabei ist.
Du hast gerade schon gesagt, du hast dir die Ideen geschnappt. Man sieht dich aber auch mit einem Mikrofon Sounds jagen. Wie macht man das genau? Und warum?
Wenn ich früher alleine im Wald war, habe ich oft gedacht, dass gerade ja sehr schöne, akustische Dinge passieren, die ich gerne festhalten würde. Für das neue Album habe ich das dann endlich mal gemacht. Es gibt so genannte field recorder, quasi tragbare Mikrofone—mit so einem bin ich einfach losgelaufen und habe geguckt, was mir vor die Flinte läuft: Sei es das Rascheln eines Busches, das Knacken von Ästen oder das Zwitschern von Vögel.
Wo kommt denn diese Passion für den Sound der Natur her? Warst du als Kind viel draußen?
Ja, klar. Aber das war damals mehr ein Grundrauschen, das ich nicht weiter wahrgenommen habe. Aber scheinbar ist es doch tiefer ins Bewusstsein vorgedrungen und hat Spuren, Narben, Traumata oder etwas Schönes hinterlassen. So empfinde ich dieses Klangbild vom Wald und der Natur als sehr angenehm und vertraut—der logische Schluss war, es jetzt in meine Musik einzubauen. Abgesehen davon ist es einfach geil, Sounds zu haben, die nicht aus einee—auch von anderen Produzenten genutzten—Library oder Ordnersammlung stammen. Die Suche nach dem eigenen Klang ist ja etwas, das jeden Musikproduzenten beschäftigt. Na gut, vielleicht nicht jeden. Es gibt sicher auch Produzenten, die das Dagewesene reproduzieren wollen. Aber meine Suche sollte zu etwas Neuem und Eigenem führen.
Man sieht dich in den Videos nicht nur als Soundjäger, sondern auch beim Hantieren mit diversen Instrumenten. Wo hast du die alle her?
Ich habe den Großteil geerbt. Der Großvater eines Bekannten ist von uns gegangen und ich durfte dessen Sammlung an Instrumenten für einen kleinen Obolus an mich nehmen. Viele der Instrumente waren in keinem guten Zustand und ich habe sie erst reparieren müssen. Manche hatte ich noch nie von außen, geschweige denn von innen gesehen. Zum Beispiel habe ich den klemmenden Ton an einem Akkordeon ausgeglichen. Ich würde nie in einen Laden gehen und mir dort, weil ich es jetzt kann, ein teures Cello kaufen, um dann zu schauen, ob ich einen Ton herausbekomme. Das wäre für mein Verständnis falsch, weil es gegenüber dem Instrument und den Leuten, die es aufrichtig spielen, nicht gerechtfertigt wäre. Ich arbeite gerne mit dem, was mir durch Zufall in die Finger gerät.
Gibt es besonders extravagante Instrumente, die auf dem Album zu hören sind?
Ja, ein Theremin. Das ist ein Kasten, aus dem eine Art Antenne herauskommt und wenn man die Hand daran entlangbewegt, wird der Ton höher. Eigentlich klingt es furchtbar und war mehr eine Spielerei, aber ich musste es einbauen. Auch das Theremin habe ich durch einen Zufall bekommen: Der Besitzer eines Cafés, in dem ich eine Zeit lang gefrühstückt habe, hat es mir geschenkt nach dem ich ihm erzählt habe, dass ich Musik mache.
Wie lernt man denn solche Instrumente dann auch zu spielen?
Man hat ja glücklicherweise die Möglichkeit durch modernste Technik Sachen zu schneiden. So spiele ich auf dem Akkordeon dann die Akkorde die ich kann in der Geschwindigkeit in der ich sie hinbekomme und setze das Ganze dann im Nachhinein zusammen, bis es so klingt, wie ich es haben möchte. Ich mache da keine Gefangenen und habe keine falschen Musikmoralvorstellungen, die mich dazu zwingen würden, alles echt zu machen, sondern tue das lieber auf meine Art und Weise. Dann klingt es eben auch nach mir.
Aber Gitarre spielen kannst du ja zum Beispiel.
Genau. Ich hatte in meiner Jugend Unterricht, muss aber dazu sagen, dass ich kein guter Schüler war. Ich war faul und zu der Zeit mit meinem Kopf eigentlich ganz woanders. Ich wollte nämlich Filme machen. Ich habe die Gitarre dann an den Nagel gehangen und erst als ich schon lange mit Rap angefangen hatte, fiel mir wieder ein, dass ich ja lange Jahre Unterricht hatte. Das war das Beste, was ich machen konnte. Denn jetzt ist die Gitarre das Instrument auf dem ich meine Lieder entwickle und eine Basis schaffe. Ihre Töne rücken dann sehr weit in den Hintergrund oder sind gar nicht mehr zu hören. Aber man kann sagen: Am Anfang war die Gitarre (grinst).
Du schlüpft auf Musik ist keine Lösung wieder in die unterschiedlichsten Rollen—sei es der Arzt, der Hundenarr oder der spießbürgerliche Paragraphenreiter. Greifst du fürs Texteschreiben nur auf eigene Erfahrungen und Eindrücke zurück oder recherchierst du dafür?
In erster Linie greife ich auf meinen Erfahrungsschatz zurück—auch aus dem Grund, weil ich die Lieder gerne so schreibe, dass sie auch für Leute verständlich sind, die kein juristisches Vorwissen haben. Wenn ich ein Lied über einen Doktor schreibe, sollen darin auch nicht zu viele abwegige medizinische Fachbegriffe vorkommen. Aber es kommt auch vor, dass ich Recherchen für Themen betreibe, die ich in Songs verarbeite. Zwar lasse ich mich dann nicht für acht Monate in eine Psychiatrie einweisen, aber ich lese mich ein oder schaue Dokumentationen—das sorgt dafür, dass ich ein besseres Gefühl für das Thema als solches bekomme.
„Denk an die Kinder“ aber auch „Willst du“ oder „Amnesie“ vom letzten Album sind Songs mit enormem Ohrwurm-Potential. Gab es nach den großen Erfolgen der beiden letztgenannten Songs eigentlich auch Anfragen von Plattenfirmen oder Künstlern, ob du nicht Lust hättest, als Songwriter tätig zu sein?
Na klar. Es gibt ja die Möglichkeit, auch im Hintergrund für Künstler zu schreiben. Ich habe das auch mal überlegt. Es ist nämlich so, dass ich manchmal Songideen habe, die ich im Rahmen meines Alligatoah-Projektes nicht machen würde. Mit Alligatoah habe ich mir ganz bewusst Grenzen gesetzt, um meine Marke und das, was ich mache, klar zu definieren. Hin und wieder habe ich aber auch Songideen, die ich für Alligatoah zu kitschig, unpassend, eindimensional oder platt halte. Allerdings ist es in diesen Kreisen oft so, dass man in erster Linie mit Leuten zusammenkommen und dann nach gewissen Vorgaben Lieder schreiben soll, um einen Künstler auf bestimmte Art und Weise aufzubauen. Da wird dann eben einen Hit benötigt, der von Liebe und Sehnsucht handelt und den man dann gemeinsam mit anderen Songschreibern schreiben soll—und da hört es für mich dann schon auf.