Alligatoah - Triebwerke
Zitat
Nach dem Prelistening-Konzert und der Weltpremiere der ersten Songs in Stuttgart war es den aufmerksamen Alligatoah-Fans schon klar, welchem Oberthema Alligatoah sich auf seinem dritten Solo-Album widmen würde. "Alligatoah würde nicht vom Liebeslied verändert werden, sondern er verändere das Liebeslied hieß" es dann auch später und das ist das selbstauferlegte Ziel der "Triebwerke": Nachdem "ATTNTAAT" den Terrorismus in all seinen Auswüchsen und "In Gottes Namen" die Religion in all seinen terroristischen Auswüchsen erfassten, spielt das dritte beinahe terroristenfreie Album also damit, die Idee des romantischen Liebessongs umzudrehen und ihm seine ekelhafte Triebhaftigkeit aufzuzeigen.
Im selben Klangkostüm kann aber jeder Anti-Lovesong schnell zum noch schnulzigeren Lovesong verkommen. Dieses Spiel mit dem Feuer beherrscht Alligatoah aber durchaus (wahrscheinlich könnte er beim Sex auch mit Fackeln jonglieren, Rrrrrr). Seinen bösartigen Humor konnte er in das etwas mainstreamaffinere Soundgewand hinüberretten und das Leitmotiv wird wieder in gewohnt vielseitiger Weise exerziert. Tatsächlich ist "Triebwerke" sogar das allererste Alligatoah-Album, das sein Motiv niemals verlässt. Leider geht das zu Lasten der Spielzeit, die mit 14 Tracks auch ungewohnt mager ausfällt.
Die Geschichte, die "Triebwerke" zu erzählen hat, ist aus recht zusammenhangslosen Fragmenten zwischenmenschlicher Abgründe zusammengesetzt; da waren andere Alligatoah-Alben schon narrativer ineinander verkettet. Aber die tragikomischen Geschichten von Liebe, Lust und Zärtlichkeit verdichten schon so etwas wie eine Erzählerfigur, deren Hybris, Egoismus aber auch soziale Verkrüppelung irgendwie in uns allen mehr oder weniger wiederfindbar ist. Der genialste erzählerische Kniff des Albums ist jedoch, das Ende, der Tod, der keiner ist ("Trauerfeierlied"). Das erste Mal, dass Alligatoah im Outro nicht stirbt, sondern sein eigenes Leben als selbstüberzeugte Zukunftsvision besingt.
Hinter dem ganzen Wahn der Lust in seinen unzähligen Spielarten steht aber wie immer bei Alligatoah die monomane Selbstüberzeugung, die sich von seinen HipHop-Parodie-Anfängen über den Terroristen und die unzähligen ausgeübten Berufe bis hin zum Lover der "Triebwerke" durch das ganze Alligatoah-Werk zieht. Somit ist Kaliba 69, vielleicht tatsächlich so etwas wie eine in sich schlüssige Persönlichkeit. Eine mit mehreren Leben, mehreren Toden und Wiedergeburten, aber doch einer Seele. Eine Figur, die auf jedem Album reanimiert wird und mit der Konfrontation neuer (mehr oder weniger) alltäglicher Situationen neu akzentuiert wird. Und wer den freundlich-selbstlosen Charakter Lukas Strobels kennt, erkennt in seinem Alter Ego so etwas wie ein Negativ seiner Persönlichkeit, das sich aus der Frage "Wie sollte ich mich in dieser und jener Lebenslage nicht verhalten?" zu konstituieren scheint.
Da "Triebwerke" die Normen sozial-sexueller Umgangsweisen einfach straight vertikal kippt — und darin kann sich jeder irgendwie wiederfinden — ist der Humor auf dem Album vielleicht auch am einfachsten und massentauglichsten ausgefallen. Die Qualität der lyrischen Einfälle auf Line-Zoomstufe soll das nicht schmälern, aber was dem Werk vielleicht ein bisschen abgeht, ist Absurdität und Spontaneität einer "Badewanne" oder eines "Schwamm Drüber". Da kann nur "Wer Weiß" mithalten, der sich auch schnell als einer der besten Songs des Albums entpuppt.
A propos beste Songs: Es schleicht sich leider ein wenig der Eindruck ein, dass manche Songs mit größerem Aufwand produziert worden als andere, dass man vielleicht schon bei dem ein oder anderen Song einen möglichen Smash-Hit-Erfolg im Hinterkopf hatte. Das ist zwar weiter nicht schlimm, aber sorgt leider dafür, dass sich auf dem Album eine mehr oder weniger klare Elite an Songs herausbildet, mit der die Resthälfte nicht mithalten kann.
Alligatoah gehört sicher zu den Rappern, die am intelligentesten mit Erzählperspektiven spielen und Lyrik mit dramatischen und filmischen Erzählweisen verknüpfen. Songs wie "Fick ihn doch" als voyeuristische Lyrik, "Amnesie", der mit Orts- und Zeitsprüngen arbeitet oder "Trauerfeierlied", der in einem Zeitraum zwischen Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit spielt, erweitern das Reichtum narrativer Schätze des Alligatoah-Universums.
Die Krux an "Triebwerke" (insofern es überhaupt eine gibt) ist, dass eben nicht alles so gut recorded wurde wie es gedacht war. Meistens handelt es sich dabei eher um Detail-Fragen: Warum durfte Nürnberg in "Willst Du" das Bach-Runter gröhlen? Warum singt Alligatoah den letzten Amnesie-Refrain nicht eine Stimmlage höher wie er es auf der Tour tut? Warum ist das "Fick ihn doch" im gleichnamigen Track nicht noch eine Marke kantiger ausgefallen? Wirklich ärgerlich sind da schon eher die Tracks Prostitution, dessen Idee super ist, aber akustisch einfach nicht zünden will und "Erntedank", der mit trostpreisähnlicher Pointe und Prinz Pi gleich zwei hitpotenzielle Argumente bereit hätte, aber eben nur auf dem Papier ein Hit ist, weil er kein bisschen Catchiness mit sich bringt.
Wie dem auch sei. Als Alligatoah-Fan kam man 2013 in eine neue Situation. Man war erstens nicht mehr allein; allte Mitschüler, die vor 5 Jahren noch über den Internetrapper Alligatoah bestenfalls als "lustiges Youtube-Video" lachten, ihm aber musikalisch keine Beachtung schenkten, mutierten über Willst-Du-Nacht zum größten Fan, "der Alligatoah schon seit seinen Anfängen kennt". Außerdem kam auch die neue Situation, in der man sich dafür rechtfertigen musste, Mainstream-Mukke, die von kleinen Kindern und Bitches gehört wird, zu feiern. ABER: Auch wenn ich gar nicht wissen will, wie oft "Willst Du" auf Mallorca gespielt wurde, es ist ein zutiefst relevanter Song. Der medienkritischste Alligatoah-Song seit "Namen Machen", voller feiner cinephiler Anspielungen und — um auf die Einleitung zurückzukommen — irgendwo das eingelöste Versprechen, dass Alligatoah das Liebeslsied verändern werde, auch wenn er dazu zwar ein Wolf im Schafspelz ist, doch aber ein Wolf, der sehr mit dem Leben des Schafes sympathisiert. Gefährlich, Alligatoah!
Fazit:
Alligatoah hat mit "Triebwerke" vor allem eins bestätigt: Er kann Hits schreiben. Das erste Mal, konnte man beobachten, dass man im Zusammenhang mit Alligatoah das Wort "Pop" in den Mund nahm. Ob sich die eingängigen Hooklines durchsetzen werden und Alligatoah dauerhaft im erweiterten Kreis des deutschen Mainstreams halten wird, wird die Zeit zeigen. Grundsätzlich ist es zweitrangig, denn trotz kleinerer Schwächen verfestigt "Triebwerke" das Vertrauen in Alligatoah, dass er seinen unverkennbaren Stil mit Massentauglichkeit verbinden kann und sich im Zweifel für seinen Stil entscheiden wird. Das Opus Magnum ist Alligatoah mit "Triebwerke" aber nicht gelungen. Dafür beschränkt sich der Wiederhörwert des Albums auf eine zu kleine Anzahl an Tracks. Aber da Alligatoah mit der Liebe bereits das zugänglichste Thema abgehakt hat, dürfte die nächste Themenwahl wohl auch weniger hypeaffin sein. Wenn der Hype dann trotzdem anhalten sollte, dann vielleicht auch wirklich aufgrund einer Deutschrap-Meilenstein-Legung. Dass Alligatoah das Zeug dazu hat, wissen wir alle.
Und jetzt die großen Ergebnisse des Votings. Ich habe zum Zeitpunkt, an dem ich diesen Satz schreibe, noch keine Ahnung, welcher Song gewinnt. Der Favorit "Willst Du" oder doch der Geheimfavorit "Fick ihn doch"? Es ist ...
Zitat
12. "Erntedank (feat. Prinz Pi)" (4.80)
11. "Prostitution" (5.00)
10. "Münchhausen II" (5.60)
09. "Münchhausen I" (5.70)
08. "Münchhausen III" (5.80)
07. "Hört, Hört (Intro)" (6.70)
06. "Rabenväter (feat. Battleboi Basti)" und "Wunderschöne Frau (feat. Timi Hendrix & Shneezin 257" (6.80)
05. "Narben" (7.30)
04. "Wer Weiß" (7.60)
03. "Amnesie" und "Trauerfeierlied" (8.20)
02. "Willst Du" (8.60)
01. "Fick Ihn Doch" (9.10)
:) Wundervolle Rezension <3
Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
Man hat einfach gemerkt, dass es einem auf lange Sicht am meisten Spaß macht und dass es einem am meisten gibt.
Krass hätte Platz 1 nicht erwartet..und das Narben soweit unten ist tsts..aber im großen und ganzen sehr cool
- Erst wenn wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit alles zu tun -
Da brauche ich ja gar nicht zu voten damit sich meine Meinung durchsetzt - ich hätte noch "wer weiß" und "Rabenväter" höher angesetzt sonst übereinstimmt meine Meinung aber mit den Votes.
Der Zynismus ist meine Rüstung, der Sarkasmus mein Schwert und die Ironie mein Schild.
Trauerfeierlied nur Nr. 3?!
Aber schöner Text, Bobby
Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
Das Forum ist in meinem Browser oben in der Schnellstartleiste und gehört somit zu den Seiten auf die ich hin und wieder mal Klicke, wenn mir langweilig ist. Ich guck dann kurz, was man von meinen neusten Sachen hält, sehe dass die Diskussion spätestens auf der zweiten Seite meistens von etwas völlig anderem handelt und bin wieder weg.
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Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
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Haters
Erntedank schlechter als Prostitution
Und dass Fick ihn doch der beste Track wird war klar
/.-.\
Zitat von T-Joe im Beitrag #8
Haters
Erntedank schlechter als Prostitution
Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
Es lebe das Forum!
Never die Wunderschöne Frau kriegt 1 Milliarde Bonuspunkte durch die Hook ^^ und den ziemlich gelungenen Kalli-Part. Prostitution hat zwar ne nette Message, klingt aber kacke, Beat passt fast gar nicht und die Hook will catchy sein, ist aber irgendwie nervig. Reys Meinung zu Erntedank unterschreibe ich so.
Der Zynismus ist meine Rüstung, der Sarkasmus mein Schwert und die Ironie mein Schild.
Ich find Prostitution nicht so schlecht.
Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
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Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
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Zitat von TERRORIST 4life im Beitrag RE: Alligatoah Fragerunde: DIE ANTWORTEN
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Amnesie hätte von mir eine 10 gekriegt, wenn er die letzte Hook eine Stimmlage höher gesungen hat.
Warum macht er es nicht? Ich versteh's nicht.
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